Und ein „alter“ Heiliger sehr aktuell wird
Wer eine 1200 Jahre alte Stadt besucht, wird auf viele Steine treffen, tote Steine, die gleichwohl eine Geschichte von lebendigen Steinen erzählen. Und man freut sich, auch lebendigen Steinen der Gegenwart zu begegnen. Beides ist geschehen am 2.Tag unserer Reise auf der Straße der Romanik in Mitteldeutschland.
Im 2.Weltkrieg zu 90% zerstört, sieht man in der Innenstadt viele Bauten der Nachkriegszeit, die vom „glorreichen“ Sozialismus Zeugnis geben, genauso wie die Arbeiten der Nach-Wende-Jahre und ein Bauwerk der jüngsten Vergangenheit, das Hundertwasser-Haus, die Grüne Zitadelle, die 2005 eröffnet wurde.
Hin und wieder trifft man auf Zeugnisse „verlorener Kirchen“: Gotteshäuser, die im 2.Weltkrieg größtenteils zerstört wurden und die man nicht wieder aufbaute. In der DDR wollte das atheistische System sie nicht als Teil der Stadtgeschichte akzeptieren und ließ die Reste beseitigen.
Einige der alten Kirchen haben überlebt, einige sind heute Kunststationen oder auch Konzerthallen. Geblieben ist der 1207 erbaute erste gotische Dom auf deutschem Boden, der dem hl.Mauritius und der hl. Katharina geweiht ist.
In den Bann zieht mich an diesem Tag der Katharinenaltar von Franca Bartholomäi aus dem Jahre 2009. Er zeigt auf zwei Lindenholztafeln holzschnittartig auf goldenem Grund die beiden Kirchenpatrone Mauritus und Katharina. Der Soldat der thebäischen Legion aus dem 4.Jahrhundert trägt eine Schutzweste wie die Soldaten unserer Tage, kniet auf seiner Lanze und hält ein Schaf in seinen Armen. Täusche ich mich oder ist der Hintergrund nicht die Silhouette einer ukrainischen Stadt? Die Kulisse ist austauschbar. Sie steht für alle Kriegsgebiete der Erde.
Der Blick schweift hinüber zu der Plastik von Ernst Barlach aus dem Jahre 1929 zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das von den Nationalsozialisten aus der Kirche verbannt wurde. Heute ist es ein Ort, der zum Frieden mahnt. Die Kerzen vor ihm erzählen von der Friedenssehnsucht vieler Menschen.
Begleitet wurde unser Spaziergang durch die Stadt am Morgen um 10 Uhr vom Geläut aller Kirchenglocken, die daran erinnerten, dass Feldherr Tilly am 10.Mai 1631 die Stadt verwüstete und 20.000 Menschen ihr Leben verloren. Da ist das Altarbild des Hl.Mauritius plötzlich sehr aktuell.
Nur ein Steinwurf vom evangelischen Dom entfernt, steht die katholische Kathedrale St. Sebastianus, die 1878 wurde den Katholiken wieder übernommen wurde und seit 1994 auch Mittelpunkt des neu gegründeten Bistums Magdeburg ist. Die unterschiedlichen Säulen, eine „Spielerei“ der mittelalterlichen Baumeister, erzählen von der Vielfalt der katholischen Kirche in der säkularen Diaspora, wo viele „Menschen vergessen haben, dass sie Gott vergessen“.
Der Christus, der am Eingangsportal so dargestellt wird, dass er selbst noch im Tod die Menschen trägt, hat für die Nicht-Christen keine Bedeutung, selbst wenn sie alte Traditionen, wie die Martinszüge, noch pflegen. Ein Gespräch mit Pfarrer Daniel Rudloff gibt uns einen Einblick in das Leben einer „schöpferischen Minderheit“, die alles daran setzt, dass ihre Zeitgenossen Kirche als etwas Positives erfahren. So begegnen uns in ihm lebendige Steine, die getreu dem Schriftwort „sich zu einem geistigen Haus“ aufbauen lassen.